Erfahrungsbericht zum Weltfrühgeborenentag

17.11.2023

Am 17. November ist Weltfrühgeborenentag. Auf der ganzen Welt wird an diesem Tag auf die Anliegen der Frühgeborenen und deren Angehörigen hingewiesen. Weltweit kommt eines von zehn Babys vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche auf die Welt. Eine Frühgeburt ist für die ganze Familie ein belastendes Ereignis. Die Autorin musste das am eigenen Leib erfahren. Basierend auf ihren Erfahrungen gründete sie kurzerhand eine gemeinnützige Organisation, welche sich einerseits für die Bedürfnisse betroffener Familien einsetzt und andererseits wichtige Vernetzungs- und Unterstützungsarbeit leistet. 

 

An einem warmen Sommertag 2018 platzte völlig unerwartet meine Fruchtblase. Zu diesem Zeitpunkt war ich mit unseren Zwillingen in der 25 + 4 Schwangerschaftswoche schwanger. Eine Ambulanzfahrt später und nach vielen Wehen konnte die Geburt leider nicht mehr aufgehalten werden. Unsere Zwillinge erblickten viel zu früh das Licht der Welt, ohne Aufschrei und ganz ruhig. Mein Mamaherz blieb stehen. Ich dachte, sie leben nicht mehr. Etwas später durfte ich einen kurzen Blick auf unsere zwei Buben werfen. Weniger als 900 Gramm schwer und von Plastik umhüllt, wurden beide gleich intubiert. So startete unser langer Weg auf der Neonatologie Bern. Täglich verbrachten wir mindestens 10 Stunden neben dem Inkubator unserer kleinen Kämpfer auf der Neonatologie. Nach über 100 Tagen, drei Operationen, unzähligen Infekten sowie Blutabnahmen und über 100 Liter abgepumpter Muttermilch, durften wir unsere Kinder endlich vom Spital mit nach Hause nehmen. Voller Stolz und Dankbarkeit. 

 

Plötzlich allein zu Hause 

Zu Hause angekommen, hatten wir plötzlich keine Ansprechperson mehr. Wenn die erste Zeit nach der Geburt mit den eigenen Kindern durch die intensive Betreuung von Fachpersonen startet, fühlt man sich zu Hause im Gegensatz plötzlich sehr allein gelassen. Denn nach 100 Tagen ist eine reguläre Wochenbetthebamme grundsätzlich nicht mehr verantwortlich. Ins Spital wird man erst viel später für ein Follow-Up aufgeboten. Fachpersonen gehen bei Eltern von Frühgeborenen auch tendenziell eher davon aus, dass sie nach der «Neo-Zeit» sowieso die Profis in der Betreuung der eigenen Kinder sind. Dennoch beschäftigen einen oft viele Fragen. Genauso erging es damals auch uns. Ich habe unsere Zwillinge sechs Monate voll pumpgestillt. An die Brust habe ich sie zu Hause nie genommen. Ich wusste mir selbst nicht besser zu helfen, bis ich eines Tages den Tipp erhalten habe, bei der Mütter- und Väterberatung, um Rat zu fragen. Ich meldete mich etwas verunsichert telefonisch bei unserer regionalen Mütter- und Väterberatung. Glücklicherweise wurde mein Anliegen sehr herzlich entgegengenommen. In den darauffolgenden Wochen konnte ich viele Fragen bei meiner Ansprechperson klären. Ich war glücklich, endlich nicht mehr das Gefühl zu haben, allein gelassen zu sein. 

 

Ein Unterstützungsangebot für Eltern, Angehörige und Fachpersonal 

Während der Zeit auf der Neonatologie fühlten wir uns oft überfordert mit unserer Frühgeburt. Ein Hoffnungsschimmer oder eine Erfolgsgeschichte von Betroffenen hat uns kläglich gefehlt. Lediglich ein Engel bei der Eingangstür von der Neonatologie spendete uns Mut. Wir wussten auch nicht, wo wir die richtigen Informationen und hilfreichen Tipps erhalten würden. 

Kurz nach unserer Entlassung durfte ich am Pflegetag vom Inselspital und am Bildungszentrum Pflege unseren Erfahrungsbericht «Eltern auf der Intensivstation» vortragen. Mittlerweile darf ich den Bericht jährlich mit verschiedensten Fachpersonen teilen. Dies hilft, Verständnis aus Sicht der Betroffenen zu schaffen. Doch unsere Geschichte und auch die von anderen Betroffenen beschäftigten mich weiterhin fast täglich. 

 

Wer steckt hinter Frühchen Schweiz?

2022 startete ich daher eine Plattform mit vielen nützlichen Informationen und hilfreichen Tipps für die betroffenen Eltern. Gleichzeitig begann ich mich mit den 29 Schweizer Neonatologien zu vernetzen. Unzählige lernreiche Meetings folgten. Ich durfte spannende Gespräche mit den Neonatologen und Pflegefachpersonen führen und so die Plattform mit weiteren Fachinformationen ergänzen. Danach wagte ich mit viel Support von meinem Mann und meinem Vater den wichtigen Schritt: Eine gemeinnützige Organisation zu gründen: Frühchen Schweiz. 

Frühchen Schweiz besteht mittlerweile aus einem Kernteam von fünf Personen, einer nationalen Elterngruppe mit 22 Eltern aus allen Regionen und 14 Fachexperten von der Neonatologie. Zusammen setzen wir uns national für die kranken Neugeborenen, Frühgeborenen, deren Angehörige und das Fachpersonal ein. Uns ist es wichtig, mit unterstützenden Beratungsstellen zusammenzuarbeiten, um Synergien zu nutzen und vor allem, um die Betroffenen von Tag eins, bis zum Übergang nach Hause und zum Einleben zu Hause nah und richtig zu begleiten. Denn nur Eltern die richtig unterstützt werden und denen es gut geht, haben die nötige Energie, um die Kinder beim Wachsen und Gedeihen richtig begleiten zu können. Frühchen Schweiz ist es eine Herzensangelegenheit, dass sich Eltern weniger allein fühlen. 

 

**Autorin

Dina Hediger ist Geschäftsführerin und Gründerin von Frühchen Schweiz. Frühchen Schweiz ist die erste nationale gemeinnützige Organisation, welche sich für die kranken Neugeborenen und Frühgeborenen, deren Familien und das Fachpersonal einsetzt.